Ort der Freude
tedfett
Wo die Liebe hinphällt

Als die Liebe auf den blinden Herrn Schrudel drauffällt, liegt er gerade wie eine Schabe auf dem Rücken und starrt an die Decke. Die Liebe hat es leicht, er bewegt sich nicht. Schlupp - saugt sie sich fest in seinem Herzen. Romantisch.

Herr Schrudel ist gerade Entwickler im Blasegaster "Sachenwerk". Das ist eine Fabrik, in der verschiedene Sachen gemacht werden. Wobei das Wort Fabrik heutzutage kaum noch benutzt wird, weil es dreckige Arbeitsplätze suggeriert. Eine durchaus böswillige Unterstellung im Falle des Sachenwerkes!

Entwickler im Sachenwerk ist ein in der Blasegaster Region bevorzugter Job. Man wickelt Drähte von elektrischen Geräten ab, die die Kollegen versaut haben. Der Chef gehört der Nachkriegsgeneration an und ist der Meinung, dass man alles noch mal gebrauchen kann.

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Boomtown Blasegast: Ein klassisches Mischgebiet.

Schrudel steht plötzlich auf, zieht sich einen Schlips an und verlässt das Haus. Am linken Hosenbein schleppt er Gisella Quarterbeck (21), am rechten Oma Steckwurst hinter sich her. Sie wollen nicht, dass er sie, der Liebe zu einer anderen wegen, verlässt. Diesem Wunsch Nachdruck zu verleihen, hat sich Gisella teilweise entkleidet, Oma Steckwurst balanciert einen Tiegel mit Grützwurst. "Schrudelchen! Tote Oma! Dein Leibgericht! Du darfst auch auf den Teppich kleckern!" Schrudel zündet den Duo.

Blasegast ist, Fakten-Fakten-Fakten, ein Mischgebiet. Ländliche Leser stellen sich das bitte in der Art von Mischobst oder Mischgemüse vor. Ein Mischgebiet hat den Vorteil, dass die Eingeborenen hier wohnen und arbeiten können, ohne besonders mobil zu sein. Die Siedler von Hirschwitz dagegen, einem reinen Villenvorort, müssen sich zum Großteil erst nach Blasegast bemühen, um im Eckkonsum die Regale einräumen zu dürfen. Dieser lange Fußweg schreckt viele ab, was den hohen Anteil sozial schwacher Bürger auf den Elbhügeln erklärt. Wer würde auf diese schiefe Ebene auch ein Sachenwerk hininvestieren?

Herr Schrudel indes mit dem Pfeil im Herzen fährt die Schnittgerinne ab. Er hat im Kino gelernt, wie man sich anzustellen hat mit der Liebe. Endlose Straßen, Wüste, Nächte, Tankstellen, Schießereien, versiffte Motels. Schrudel hat eine Woche Urlaub genommen, um das Herz der Unbekannten Geliebten auf einer verwegenen Reise in seinen goldenen Schrein echter Gefühle zu entführen. Aber welcher Geliebten? Das der Kleinen mit den großen Augen? Der hemmungslosen Friseuse Sogelbrich? Der Lokalredaktreurin Obergohsel von nebenan, die die Leibwäsche auf dem Balkon trocknet? Oder gar eines richtigen Moddels, wie auf den Tittelseiten?

Allerdings gestaltet sich die Suche unglücklich. Gisella lümmelt halbnackt auf der Duobank und streckt die Füße gegen die peitschenden Nesselbüsche des Vorwerks, während Oma Steckwurst, auf die Katzenaugen geklemmt, den Tiegel über dem dampfenden Zylinder warmhält. Finnische Sauna mit gutbürgerlicher Küche. Keine Verlockung für die moderne Damenwelt von Blasegast, sich mit Herrn Schrudel zu vermischen.

Einzig Kalorie Patzschke, die Nichte des bekannten Klempners aus der Rhön, ist bereit, mit Schrudel die Wälzlager zu teilen. Unter der Bedingung, dass der Vogel mitdarf, gibt sie zu, dass auch sie von der Liebe betroffen ist. Während Gisella (um Jahre gealtert) und Oma Steckwurst fassungslos zurückbleiben, treffen die Verliebten nach Verüben mehrerer Banküberfälle, Absingen von Roadsongs und Aufsagen frecher Bemerkungen an Tankstellen in das Motel einer unbekannten wüsten Siedlung ein.

Der kleine blaue Hansi darf den Käfig verlassen und sich im keimigen Zimmer Futter suchen, das Paar geht an die Rezeption, um den Steward niederzuschlagen. "Oh", ruft Schrudel, als sie zurückkehren, "sieh nur, Liebste, wie schön der Kaktus blüht!"

"Haaaaaaaaaaaaaaaansiiiiiiiie!!!" gellt Kalorie Patzschke.

Am nächsten Morgen schon macht sich Herr Schrudel wieder mit den Vorzügen von Gisella (23) und aufgewärmter Grützwurst vertraut.

Ende